Es stellt einen so genannten triftigen Grund dar, der die Teilnahme an einer öffentlichen Gerichtsverhandlung rechtfertigt und der auch im Rahmen allgemeiner Verfügungen nach dem Infektionsschutzgesetz (Ausgangssperre) zum Verlassen der Wohnung berechtigt.
Der Bundesgerichtshof hatte in seinem Beschluss vom 17.11.2020 – 4 StR 190/20 – darüber zu befinden, ob eine Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes gemäß § 169 GVG i.V.m. § 338 Nr. 6 StPO vorliegt und mithin aufgrund eines Verfahrensfehlers zur Aufhebung des Urteils führen könne. Vorliegend ging es darum, dass das sächsische Staatsministerium anlässlich der Corona-Virus Pandemie auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes eine Allgemeinverfügung erlassen hat, wonach das Verlassen der häuslichen Unterkunft ohne triftigen Grund untersagt worden ist. In der Allgemeinverfügung war insbesondere genannt, dass die Wahrnehmung unaufschiebbarer Termine bei Behörden, Gerichten, Gerichtsvollziehern, Rechtsanwälten und Notaren „triftige Gründe“ darstellen. Das seinerzeit mit dem Ausgangsverfahren befasste Gericht (Landgericht Chemnitz) hatte in jener Zeit Hauptverhandlungstermine bestimmt. Die sich hiergegen mit der Verfahrensrüge wendende Revision hatte die Auffassung vertreten, dass am Verfahren unbeteiligte Zuhörer an diesen Sitzungstagen aufgrund der erlassenen Allgemeinverfügung des sächsischen Staatsministeriums der Besuch und die Teilnahme an der bestimmten Hauptverhandlungen untersagt gewesen sei, mithin ein Verstoß gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit vorliegen würde.
Der Bundesgerichtshof kam in dem zitierten Beschluss zu dem Ergebnis, dass der Grundsatz der Öffentlichkeit nicht verletzt sei. Es bestünde nach der Allgemeinverfügung kein Verbot, als Zuhörer an Hauptverhandlungen teilzunehmen. Vielmehr würde die Teilnahme als Zuhörer an einer öffentlichen Hauptverhandlung einen unbenannten triftigen Grund im Sinne der erlassenen Allgemeinverfügung darstellen. Der in § 169 GVG normierte Öffentlichkeitsgrundsatzes soll eine Kontrolle der Justiz durch die am Verfahren nicht beteiligte Öffentlichkeit ermöglichen, so dass im Hinblick auf die Bedeutung des Öffentlichkeitsgrundsatzes außer Frage stehe, dass das Verlassen der häuslichen Unterkunft zur Teilnahme an einer öffentlichen Gerichtsverhandlung einen triftigen Grund begründe, der der Ausnahmeregelung der Allgemeinverfügung unterfalle.
Anmerkung RA Jutsch: Der Bundesgerichtshof hat mithin klargestellt, dass nicht nur die in der Allgemeinverfügung aufgezählten triftigen Gründe berechtigen würden, trotz verhängter Ausgangssperre das Verlassen der Wohnung zu rechtfertigen, so dass Angeklagte verpflichtet sind, zum Hauptverhandlungstermine zu erscheinen und ein seitens der Verteidigung gestellter Aussetzungs- oder Verlegungsantrag trotz geltender Ausgangssperre abzulehnen wäre. Vielmehr wird darüber hinaus sogar höchstrichterlich entschieden, dass an dem Gerichtsverfahren gänzlich unbeteiligte Personen die Ausgangssperre umgehen dürfen, wenn sie sich im eigenen und privaten Interesse eine öffentliche Gerichtsverhandlung lediglich als Zuschauer ansehen und dieser beiwohnen wollen, obgleich dieses private Interesse eines einzelnen Bürgers nicht explizit in der behördlichen Allgemeinverfügung Erwähnung findet.